Gespräche mit den ganz Alten
Gespräche mit den ganz Alten
Die Idee zu diesem Thread ist mir gekommen, weil ich übers Wochenende bei einem alten Onkel war. Der ist Jahrgang 1919 und in der Vorkriegszeit aufgewachsen. Was der alles erlebt hat! Mit welchen rapiden und drastischen Veränderungen der zurecht kommen musste in seinem Leben!
Der alte Mann saß in seinem Sessel und da ich ihm aufmerksam zuhörte und seine Erzählungen auf meinem Laptop mittippte, war er nicht mehr zu bremsen.
Das gefällt ihm sehr, wenn ich alles, woran er sich noch erinnert, aufschreibe. Da kann er 2 Stunden ohne Punkt und Komma reden und genauso steht es dann auch auf meinem Bildschirm Das gehört irgendwann natürlich bearbeitet, korrigiert, ausgebessert, aber egal, das hat ja Zeit. Seine Erinnerungen haben keine Zeit mehr.
Irgendwann meinte er, er verstehe nicht, warum er so alt werden muss, es würde ja eigentlich reichen.
Ich sagte, wahrscheinlich hast du noch eine Aufgabe hier zu erledigen, bevor du gehen darfst.
Da seufzte er, daran habe er auch schon gedacht und er habe Angst davor, Angst vor allem, was ihm noch bevorsteht.
Er hat schon so viele Leute sterben sehen und sich von so vielen verabschieden müssen. Ich glaube schon, dass man da Angst bekommt, wie das mal vor sich gehen wird.
Habt ihr auch noch Gelegenheit, mit so ganz alten Menschen zu sprechen?
Ich finde es schade, wenn diese Lebenserfahrungen einfach verschwinden ...
Erst mal finde ich es klasse, daß Du Dir die Zeit nimmst dem alten Herrn zuzuhören. Das tut so alten Leuten wenn sie allein leben sehr gut.
Ich selbst kannte mal eine 85jährige Dame. Sie hat mir auch oft von früher erzählt. Leider war ich da erst Mitte Zwanzig, ich glaube da fehlt einem noch die Reife und das sich hineinversetzen können in andere. Da ich damals Filialleiterin war hatte ich auch sehr wenig Zeit.
Aber das, was sie mir erzählte war selbst als junger Mensch sehr interessant.
Ich finde es gut, wenn alte Menschen frühere Zeiten beschreiben, diese Zeitzeugen können einem viel vermitteln.
Wir haben auch alte Fotos angeschaut und dazu hat mein Onkel mir dann erzählt. Ich habe vor, das mal zusammenzustellen: diese Fotos und die Texte. Dazu brauche ich aber noch mehr Material. Wenn er mal nicht mehr lebt, wird es ein Geschenk für seinen Sohn oder seine Enkeltöchter. Mal sehen, wie es sich ergibt ...
z.B. hat er berichtet, dass zu Weihnachten die Beschäftigten im Betrieb seines Vaters jeweils eine Gans bekamen. Aber: die lebte noch und das war dann auch bei den Kindern ein großes Hallo, wenn die Väter mit dem Rucksack durch den Ort marschierten und oben schauten Hals und Kopf der Gans heraus Die war ja auch nicht still.. mein Onkel wurde richtig fröhlich bei der Erinnerung
Zitat von Rika
Herrlich! Das ist ja mal ein tolles Weihnachtsgeschenk. Aber die mußte man dann selbst schlachten.
Ach, die Leute in den kleineren Orten waren früher nicht so pingelig. Die hatten ja auch fast alle Hühner, manche auch ein Schwein im Hinterhof. Da waren die ganz pragmatisch. will ich die Gans essen, muss eben der Kopf ab. Fertig. Und die Daunen wurden dann fürs nächste Kinderbett gesammelt.
Wenn man sich mal die heutigen 20jährigen anschaut ... mein Onkel wurde mit 20 an die Front geschickt (mein Vater mit 18)... das ist schon heftig, was damals die Leute aushalten mussten. Nicht nur körperlich, auch psychisch. Und als der Krieg vorbei war, gab es keine Trauma-Therapeuten für die Heimkehrer ...
Er hat mir auch Erlebnisse aus dem Krieg erzählt, natürlich, war ja ein prägender Abschnitt seines Lebens. Da musste ich mich doch zusammenreißen, damit ich weitertippen konnte und ihn nicht gebeten habe, aufzuhören, weil mir das zu viel wurd e...
Er hat auch am nächsten Tag gemeint, er hätte sehr unruhig geschlafen, weil dieses Gespräch doch sein Unterbewusstsein sehr in Unruhe gebracht habe. Aber er wollte weiter-erzählen, fast so als wisse er, dass möglichst viel in die kurze Zeit zu packen sei, die ich für ihn hatte.
Das ist sicher für ihn wichtig, er findet das eben gut das seine Erinnerungen festgehalten werden wenn er mal nicht mehr da ist.
Ich kann mir denken, wie das einen fesselt ihm zuzuhören.
Mein Vater wurde mit 17 Soldat. Seine Mutter hat er nie wieder gesehen. Sonst hatte er niemanden.
Zitat von Rika
Mein Vater wurde mit 17 Soldat. Seine Mutter hat er nie wieder gesehen. Sonst hatte er niemanden.
Genau, das meinte ich. Die jungen Leute damals, die haben schon was ertragen müssen, und sie haben sich durchgebissen. Davor hab ich großen Respekt!
Zitat von LenchenZitat von Rika
Mein Vater wurde mit 17 Soldat. Seine Mutter hat er nie wieder gesehen. Sonst hatte er niemanden.
Genau, das meinte ich. Die jungen Leute damals, die haben schon was ertragen müssen, und sie haben sich durchgebissen. Davor hab ich großen Respekt!
Ja, ich auch. Als Kind und Teenager verstand ich nicht, warum mein Vater so hart und streng ist. Er nahm mich nie auf den Schoß als ich klein war, er berührte mich nie. Heute mit der Reife des Alters (hört hört ) weiß ich, daß er es erstens gut meinte, er wollte mich aufs Leben vorbereiten, ich sollte von klein auf lernen mir selbst zu helfen. Dafür bin ich heute dankbar, denn das hab ich gelernt. Damals war es natürlich schwer für mich, ich dachte immer als Kind mein Vater mag mich nicht.
Und zweitens konnte er keine Gefühle zeigen. Er hat seine Kindheit einsam verbracht. Seine Mutter war geoutet, denn alleinerziehende Mütter waren damals fast gleichgesetzt mit Huren. Dabei war es so, daß sein Vater seine Mutter einfach verlassen hat als sie schwanger wurde.
Jedenfalls hat seine Mutter in einer Fabrik gearbeitet (damals hatten Frauen kaum berufliche Ausbildungen). Das hieß damals einen 11 Stunden Tag arbeiten! Mein Vater war von klein auf sich selbst überlassen. Wenn seine Mutter abends todmüde heimkam lag er schon im Bett und schief. Wenn der Wecker ihn morgens weckte war die Mutter bereits in der Fabrik. Das ging 6 Tage so. Nur Sonntags sah er sie mal. Und dann sagte sie ihm von klein auf auch noch immer wieder "Du bist der Mann im Haus, Du bist stark und machst alles". Er kaufte ein, er räumte auf....
Er wurde ein absolut zuverlässiger, ordentlicher und verantwortungvoller Mensch. Aber er konnte niemals mit Menschen "nah sein" oder seine Gefühle zeigen. Das hat er als Kind nicht gelernt.
Ich wünschte ich hätte diese Einsicht schon als Kind gehabt.
Das ist immer faszinierend wenn man so alten Leuten zuhört. Was waren die Zeiten und vor allem die Menschen anders früher. Die freuten sich noch über Kleinigkeiten, die waren viel zufriedener und sie waren noch zugänglicher für andere Menschen.
Heute hetzen sie alle durch den Tag und nehmen kleine Dinge und andere Menschen kaum war.
Das ist sehr gut von Dir, daß Du Dir die Zeit für den alten Mann nimmst Lenchen.
Und Rika: Ich kann mir vorstellen, daß es für Dich als Kind sehr schwer war mit Deinem Vater. Aber es ist sehr gut, daß Du es heute richtig einordnen kannst. So trägst Du ihm nichts nach.
Es wird sicher einiges beschönt beim Erzählen, aber dass die Leute früher einen harten Alltag hatten, wissen wir ja sowieso.
Das soziale Miteinander, von dem mein Onkel berichtet hat, das hat mich etwas wehmütig gemacht.
Rika, um mit den Eltern Frieden zu machen, ist es nie zu spät und ich denke, ein Kind hätte die psychologischen Hintergründe gar nicht verstanden. Gut, dass du jetzt damit umgehen kannst!
Ich hab jetzt auch die Fotoalben, die mein Cousin aus der Wohnung einer gemeinsamen Tante mitgenommen hat. Er will sie nicht haben, meinte aber, dass man sie auch nicht einfach dem Wohnungsentrümpler überlassen könne.
Da sitze ich und blättere ... ein ganzes Leben in Fotos, sie ist Jahrgang 1923 und liegt als Pflegefall völlig dement im Pflegeheim.
Ein ganzes Leben in Fotos und irgendwann ist das alles, war vor Jahren noch wichtig war, völlig unwichtig, ich kenne viele Leute auf den Bildern gar nicht... ihre Bekannten und Freunde, mit denen sie etwas unternommen hat ... beklemmend ... es interessiert niemanden mehr und viele der Leute auf den Bildern sind sowieso schon gestorben ...
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